Von Bernhard Grämiger
Ende Oktober fand im südkoreanischen Suwon die UNESCO-Weltkonferenz zur Weiterbildung statt. An der Konferenz wurde die Umsetzung des von den UNESCO-Mitgliedstaaten im 2009 in Brasilien beschlossenen Aktionsrahmens überprüft. Der Aktionsplan legt globale Ziele für die Weiterentwicklung der Weiterbildung fest und ist für die 144 Teilnehmerstaaten, also auch für die Schweiz, bindend.
Zu den Aktionsfeldern, in denen Ziele definiert werden, gehören u.a. die Finanzierung, die Förderung der Weiterbildungsteilnahme, die Qualität, die Förderung der Grundkompetenzen sowie die Governance. Der SVEB konnte an der Konferenz als Teil der offiziellen Schweizer Delegation die Zivilgesellschaft vertreten.
Andere Dimensionen – gleiche Herausforderungen
Doch sind die Problematiken in den unterschiedlichen Ländern überhaupt vergleichbar? Lassen sich Forderungen formulieren, die globale Gültigkeit haben? Im Workshop zum Thema Grundkompetenzen scheint sich die Skepsis zunächst zu bestätigen. Der Vertreter aus Nigeria rapportiert, dass in seinem Land über 60 Millionen Erwachsene nicht lesen und schreiben können. Die Vertreterin aus Indien nennt eine Zahl weit über den 100 Millionen.
In Entwicklungsländern besitzt die Problematik fehlender Grundkompetenzen eine komplett andere Dimension als in der Schweiz. Hierzulande sprechen wir von 800'000 Erwachsenen. Doch obgleich sich die Dimensionen deutlich unterscheiden, sind die Herausforderungen im Bereich Förderung der Grundkompetenzen in Nigeria und in den ländlichen Regionen der Schweiz die gleichen.
In manchen Kantonen fehlt noch immer eine gut ausgebaute Förderstruktur im Bereich Grundkompetenzen mit spezifischen Angeboten für Erwachsene: genauso wie in Nigeria. Auch eine klare Strategie zur Erhöhung der Teilnahme sucht man vergebens: genau wie in Nigeria.
Der deutliche Vorteil der Schweiz liegt indes darin, dass hierzulande die Voraussetzungen, um an der Situation etwas zu ändern, vorhanden sind. Während in Nigeria trotz der riesigen Dimensionen noch immer um die Anerkennung der Problematik gekämpft wird, verfügt die Schweiz mit dem Weiterbildungsgesetz (WeBiG) seit über einem Jahr über eine adäquate gesetzliche Grundlage, um die Herausforderungen gezielt anzugehen.
Weiterbildungsgesetz als Best-Practice
Von Delegationen aus anderen Ländern wird dieser Vorteil durchaus erkannt, wie anlässlich der Präsentation des WeBiG durch die Schweizer Delegation deutlich wurde. Eine Vertreterin aus Afghanistan liess sich gar zur Aussage hinreissen: „Switzerland is paradise!"
Aus der internationalen Perspektive ist das Gesetz tatsächlich Best-Practice. Es ordnet ordnet die Weiterbildung in die Bildungssystematik ein und gibt damit der Weiterbildung den Stellenwert, der in den meisten (auch europäischen) Ländern reines Wunschdenken ist. Die im Gesetz festgehaltenen Grundsätze wie Chancengleichheit und Qualitätssicherung sowie die Zusammenarbeit in klar definierten, föderalen Strukturen mögen für uns selbstverständlich sein. Auf der internationalen Ebene sind sie es keinesfalls.
Nicht zurücklehnen!
Wie aber der Austausch an der Konferenz und das erste Jahr der Umsetzung des WeBiG gezeigt haben, können wir uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Das Gesetz bildet eine Grundlage, nicht mehr nicht weniger. Ein Blick in die Zielsetzungen des UNESCO-Aktionsplans und die Schlussdeklaration der Konferenz machen deutlich, dass die Schweiz in vielerlei Hinsicht gefordert ist.
Gerade im Vergleich mit Benchmark-Ländern in Europa bleibt insbesondere die Verbesserung des Zugangs zur Weiterbildung eine zentrale Herausforderung. Die Teilnahme an Weiterbildung in der Schweiz ist viel zu stark von soziökonomischen Faktoren abhängig. Dies haben die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) jüngst erneut bestätigt. Die Schweiz braucht eine ganzheitliche, ausreichend finanzierte Strategie um die bestehenden Teilnahmedisparitäten nachhaltig abzubauen. Lernen können wir dabei von den nordischen Ländern, welche die Problematik seit einigen Jahren gezielt angehen.
