«Wer mit den Grundkompetenzen Mühe hat, wird oft nicht ernst genommen»


Wie können Teilhabechancen durch die Förderung von Grundkompetenzen verbessert werden? Um diese und andere Fragen geht es am 12. Dezember 2024 im Open Space des SVEB. Im Vorfeld erklärt, Cäcilia Märki, Bereichsleiterin Grundkompetenzen, warum es einen solchen Anlass braucht und was die grundsätzlichen Probleme sind.

Warum braucht es einen Open Space «Grundkompetenzen für Teilhabe und Partizipation!?»?
Es gilt die Annahme, dass es Grundkompetenzen für eine vollständige Teilhabe am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben braucht. Am Open Space wollen wir klären, was das konkret für die Teilnehmenden bedeutet. In welchen Lebensbereichen macht die Teilhabe Mühe, weil die Grundkompetenzen nicht reichen? Welche Schwierigkeiten gibt es konkret, für deren Lösung ein Bildungsangebot einen Beitrag leisten kann? Ich bin überzeugt, dass wir genauer hinschauen und nachfragen müssen, damit wir gemeinsam Lösungen entwickeln können, die relevant sind, ansprechend und nützlich.

Lässt sich an einem konkreten Beispiel festmachen, wie wichtig Grundkompetenzen sind, um am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilhaben zu können?
Der Bereich der wirtschaftlichen Teilhabe (employability) steht bisher im Fokus. Zum Beispiel gibt es mit dem GO-Modell und dem Förderschwerpunkt Einfach besser! … am Arbeitsplatz ein Vorgehen und eine Förderstruktur, die praxisorientiert und vor Ort die Förderung der Grundkompetenzen unterstützt. Auch bei der Förderung der Grundkompetenzen an der Schnittstelle zum Berufsabschluss für Erwachsene (BAE) gibt es bereits eine erfolgreiche Praxis mit den Vorbereitungskursen für den Einstieg in den BAE. Beide Beispiele funktionieren, weil es Partnerschaften gibt, einerseits mit Betrieben und andererseits im anderen Fall mit dem Berufsbildungssystem, insbesondere den Berufsfachschulen.

Und wo «funktionierts» noch nicht?
Persönlichere Themen wie z.B. die Gesundheit sind bisher weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit, obwohl die Verbindung zu den Grundkompetenzen auf der Hand liegt: Das System der Gesundheitsversorgung ist komplex und mit geringen Grundkompetenzen schwer zu verstehen. Von der Krankenversicherung angefangen über das Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen im Alltag. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach Fachorganisationen, die in diesem Bereich aktiv sind. Welche Zusammenarbeitsformen braucht es, um Angebote zu entwickeln, die die Zielgruppen erreichen und die Grundkompetenzen gemeinsam mit den Gesundheitskompetenzen wachsen?

Warum müssen Lebenswelten der potenziellen Teilnehmenden beachtet sowie die Teilnehmenden selbst in den Prozess integriert werden?
Wenn Lerninhalte an reale Lebenswelten anknüpfen, wird die Arbeit an den Grundkompetenzen relevant für den Alltag und die persönlichen Interessen und Ziele. Es ist der Alltag, der die Lernanlässe liefert: der Umgang mit dem persönlichen Budget, das Finden und Verstehen von Gesundheitsinformationen im Internet oder das Ausfüllen eines Formulars online oder ein Gedicht verstehen. Die Lebenssituationen der Erwachsenen sind sehr unterschiedlich im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit, familiäre Verpflichtungen, Migrationshintergrund, das Alter, die Bildungsbiografie usw. Eine Berücksichtigung der individuellen Erfahrungen und Bedürfnisse ermöglicht eine passgenaue Unterstützung. Lernen ist nachhaltiger, wenn es unmittelbar im Alltag angewendet werden kann.Der Einbezug der Teilnehmenden in die Gestaltung des Bildungsprozesses führt zu relevanten Bildungsinhalten und dem Gefühl wertgeschätzt und ernst genommen zu werden. Es wird ein Lernumfeld geschaffen, das die Erwachsenen als aktiv Handelnde und nicht als passive Empfänger von Bildung begreift. Das ist angemessen und es motiviert.

Inwiefern ist das Lernformat wichtig?
Wir denken in Kursformaten und auch die potenziellen Teilnehmenden assoziieren Kursformate, angelehnt an schulische Erfahrungen, mit Lernangeboten. Sogenannte niederschwelligen Angebote wie Lernstuben oder Schreibwerkstätten bewähren sich. Lernen passiert im Alltag, in informellen Settings, beim Tun… da gibt es noch viel Spielraum für neue Formate, die noch nicht ausprobiert wurden.

Können Teilnehmende nicht einfach in einen Kurs geschickt werden?
Die Frage zeigt eine generelle Problematik auf: Wer mit den Grundkompetenzen Mühe hat, wird nicht ernst genommen und es herrscht die Haltung vor, dass das «Grundkompetenzen-Problem» selbst verursacht ist (in der Schule nicht aufgepasst!) und mit dem Besuch eines entsprechenden Kurses doch gefälligst behoben werden soll. Diese Haltung blendet aus, dass bildungsbenachteiligende Strukturen am Werk sind, die Bildungschancen und -erfolge unterschiedlich verteilen. Das «Erreichen der Zielgruppen» braucht daher das Wahr- und Ernst-Nehmen von unterschiedlichen Lebensrealitäten und den damit verbundenen Lernbedürfnissen.

Was wäre der Best Case für den Ausgang des Open Space? Was soll der Anlass im Idealfall zutage fördern?
Ich bin zufrieden, wenn Ideen geteilt, diskutiert und weiterentwickelt werden und sich die Teilnehmenden am Ende des Tages vernetzt haben und wissen, wie sie konkret an den Ideen, Initiativen und Projekten weiterarbeiten werden.  Wir werden im ersten Halbjahr 2025 ein Online-Treffen organisieren, an dem wir alle einladen, sich gegenseitig darüber zu informieren, wie die einzelnen Vorhaben sich entwickelt haben und welche nächsten Schritte anstehen.

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