«Das ist unverständlich und politisch kurzsichtig»


Der SVEB wehrt sich mit allen politischen Mitteln gegen die geplanten Sparmassnahmen des Bundes in der Weiterbildung. Im Interview mit «Alpha» erklärt SVEB-Direktor Bernhard Grämiger, warum die Sparpläne gefährlich sind und Widerstand nötig ist.

Interview: Daniel Fleischmann

Bernhard Grämiger, eine Allianz wehrt sich gegen Sparmassnahmen in der Weiterbildung. Worum geht es?
Der Bundesrat plant im Rahmen des Entlastungspakets 27 massive Sparmassnahmen in der Weiterbildung. Fünf Bereiche wären betroffen. Der Bund will die Bundesmittel für die Förderung von Grundkompetenzen Erwachsener sowie für die Leistungen der Organisationen im Bereich der Weiterbildung komplett streichen – darunter etwa der Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben, der Verband der Schweizerischen Volkshochschulen oder Elternbildung CH. Weitere Kürzungen sind bei der Umweltbildung, bei Projekten der berufsorientierten Weiterbildung sowie bei internationalen Mobilitäts- und Kooperationsprojekten vorgesehen. Die Allianz, die sich gegen diese Sparmassnahmen wehrt, besteht aus nationalen und regionalen Verbänden in der Weiterbildung sowie gewichtigen nationalen Organisationen wie SKOS, Caritas Schweiz oder Kaufmännischer Verband Schweiz.

Sie nennen die Vorschläge «unverständlich» und «kurzsichtig». Auch Ihr Verband, der SVEB, wäre ein Sparopfer. Sind Sie darum so aufgebracht?
Wir sind aufgebracht, weil das Signal für die Weiterbildung fatal ist. Der Bundesrat selber hat in der BFI-Botschaft 25–28 die Weiterbildung als strategische Priorität zur Bewältigung etwa des Fachkräftemangels und der digitalen Transformation bezeichnet. Er hat dem Parlament sogar vorgeschlagen, die Mittel zur Förderung in diesem Bereich zu erhöhen, weil Sparmassnahmen zu erhöhten Kosten im Bereich der Arbeitslosenkasse und Sozialhilfe führen würden. Das Parlament ist dem Vorschlag gefolgt. Keinen Monat später macht der Bundesrat eine Kehrtwende und will genau diese Förderung komplett stoppen – aus unserer Sicht ohne klare Begründung.

Eine Expertengruppe unter Serge Gaillard hat sogar die Abschaffung des Weiterbildungsgesetzes vorgeschlagen. Der Weiterbildungsmarkt funktioniere auch ohne Subventionen des Bundes gut. Zudem liege die Verantwortung für die Förderung von Grundkompetenzen bei den Kantonen. Ist das falsch?
Ja, das ist falsch. Wir haben zwar einen dynamischen, funktionierenden Weiterbildungsmarkt. Aber er erreicht vor allem die gut Qualifizierten, wie der Bildungsbericht Schweiz von 2023 zeigt. Hierzulande bilden sich gut Qualifizierte fünfmal häufiger weiter als gering Qualifizierte – nirgends sonst in Europa ist diese Differenz so gross. Das heisst: Sehr viele Erwachsene in der Schweiz haben keinen Zugang zur Weiterbildung. Gemessen am steigenden Weiterbildungsbedarf ist die Weiterbildungsteilnahme viel zu tief. Bezüglich der Aufteilung der Verantwortung für die Förderung der Grundkompetenzen hält das Weiterbildungsgesetz klar fest, dass Bund und Kantone eine gemeinsame Verantwortung tragen.

Was würde die Streichung der Fördergelder des Bundes bedeuten?
Dank der Bundesgelder konnten in praktisch allen Kantonen funktionierende Strukturen und Angebote zur Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener aufgebaut werden. Die Kantone übernehmen dabei die Hälfte der Kosten. Wenn die Bundesfinanzierung wegfällt, dürften auch die meisten Kantone ihr Engagement einstellen – was zu einem direkten Abbau von Weiterbildungsangeboten führt. Das wäre dramatisch. Zum einen aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Perspektive: Es gibt heute praktisch keine Jobs mehr, in denen Grundkompetenzen nicht nötig sind oder werden. Die Anforderungen steigen, und die KI sorgt dafür, dass Grundkompetenzen noch wichtiger werden. Und zum anderen für die Betroffenen selbst: Mit den Kursen werden Menschen unterstützt, die sich Weiterbildung nur schwer leisten können und auch nicht über die Integrationsförderung oder Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Die vom Bund finanzierte PIAAC-Studie zeigte im Dezember 2024: Fast 30 Prozent der 16- bis 65-Jährigen haben in mindestens einem der drei Bereiche Lesen, Rechnen und Problemlösen geringe Kompetenzen – das sind rund 1,67 Millionen Personen. Als die Studie erschien, schrieb der Bund: «Die Resultate bestärken den Bund in seinen Bemühungen, die Grundkompetenzen von Erwachsenen mit gezielten Fördermassnahmen zu unterstützen.»

Wie erfolgreich sind denn die Angebote zur Förderung von Grundkompetenzen?
Die Teilnehmerzahlen sind in den letzten acht Jahren deutlich gestiegen. So haben sechs Kantone mit grossem Erfolg Bildungsgutscheine eingeführt. Der Bedarf ist enorm – und der volkswirtschaftliche Nutzen auch. Eine Studie von Büro BASS zeigt, dass durch fehlende Grundkompetenzen für die Arbeitslosenversicherung Kosten von jährlich rund einer Milliarde Franken entstehen. Die Investitionen in die Weiterbildung zahlen sich entsprechend aus. Gross angelegte empirische Studien über den individuellen Nutzen der Kurse gibt es in der Schweiz bisher keine. Berichte von Kursteilnehmenden im Rahmen der von Bund und Kantonen getragenen Kampagne «Einfach besser!… am Arbeitsplatz» zeigen die Wirkungen der Kurse aber gut auf. Hier äussern sich zum Beispiel ein Buschauffeur, der seine Fahrgäste endlich besser versteht, oder ein angelernter Mitarbeiter, der dank verbesserter Lesefähigkeiten ein Fähigkeitszeugnis in Angriff nehmen kann.

Sie lehnen die Vorschläge des Bundesrates ab. Sehen Sie Verhandlungsspielraum?
Nein. Alle fünf vorgeschlagenen Sparmassnahmen im Bereich Weiterbildung sind schädlich. Sie widersprechen dem breiten, über alle Parteien hinweg bestehenden Konsens darüber, dass Weiterbildung wichtig ist. Ob der finanzpolitische Spardruck diesen Konsens zerstören kann – das werden wir spätestens in der Parlamentsdebatte im Dezember sehen. Es wäre absurd, wenn man zur Finanzierung der Mehrausgaben für die Armee sowie die AHV bei der Weiterbildung sparen würde und dadurch Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Schweiz verhindert.

Dieses Interview erschien am 9. Juni 2025 in der Beilage «Alpha» des Tages-Anzeigers.

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