Informelle Weiterbildung am Arbeitsplatz bedeutet selbst gesteuertes Lernen. Was sich gerade in Zeiten von sich schnell wandelnden Umständen anbietet, hat auch seine Tücken.
Artikel: Ronald Schenkel
Gegenüber Grossunternehmen weisen KMU viele Vorteile aus. Man kennt sich gut, weiss um die Schwächen und Stärken der Kolleginnen und Kollegen. In der Regel herrschen flache Hierarchien, die einen entspannten Umgang miteinander befördern. Das sind wichtige Voraussetzungen, um voneinander lernen zu können, wichtig auch für das informelle, also das selbst gesteuerte Lernen direkt im betrieblichen Umfeld.
Dass sich auch KMU um die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden kümmern müssen, um mit den raschen Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt zu halten oder diese gar zu antizipieren, ist eine wenig überraschende Erkenntnis. Zudem sind KMU oft auch mit einem Verlust an Kompetenzen konfrontiert, wenn eine qualifizierte Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt oder in Pension geht.
Kein Platz für Weiterbildung
KMU haben selten ein üppiges Weiterbildungsbudget. Und die Entbehrlichkeit der einzelnen Fachkräfte für externe Kurse ist oft sehr beschränkt. Weiterbildung fällt so häufig unter den Tisch, weil der Alltag anderes fordert. Doch der zukünftige Arbeitsalltag könnte Kompetenzen verlangen, die man sich jetzt aneignen sollte.
Vielleicht sind diese Kompetenzen aber im Betrieb bereits irgendwo vorhanden? Oder es gibt andere Zugänge dazu als eine formelle Weiterbildung – Online-Tutorials beispielsweise, die inzwischen weit über Youtube-Videos hinausgehen und von zertifizierten Anbietern entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Das Unternehmen selbst kann also zum Ort für Weiterbildungen werden, der Kollege, die Kollegin zum Coach.
Aber auch informelle Weiterbildung passiert nicht einfach so. Sie setzt Strukturen oder vielleicht mehr noch ein bestimmtes Klima voraus. HR-Fachleute sprechen von einer Lernkultur. Man könnte auch ganz einfach von einer Unternehmenskultur sprechen, welche das Lernen fördert. Dazu gehört der (idealerweise organisierte) Austausch von Erfahrung, die Möglichkeit, von Modellen oder von Best Practice zu lernen, aber auch die Freiheit für Mitarbeitende, Dinge auszuprobieren, und natürlich Zeit und Raum, dies auch zu tun. Eine Lernkultur zu etablieren und zu erhalten, ist eine Managementaufgabe. Auch das will gelernt sein.
Unterschiedliche Präferenzen
Tatsächlich haben KMU in der Schweiz die informelle Weiterbildung für sich bereits entdeckt, wie aus der (noch unveröffentlichten) KMU-Studie des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung hervorgeht. So nennen 27 Prozent der befragten Unternehmen die informelle Weiterbildung als wichtigste Massnahme, um den Kompetenzbedarf zu decken.
Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen. Das Baugewerbe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen etwa betrachten nach wie vor überdurchschnittlich oft Weiterbildungskurse als wichtigste Massnahme. Hingegen setzen das verarbeitende Gewerbe und der Bereich Herstellung von Waren, die persönlichen Dienstleister, das Gastgewerbe und der Handel eher auf informelle Weiterbildung, wie die Studie zeigt.
Die von den befragten Unternehmen genannten Vorteile überwiegen zumindest in der Zahl: So sei informelle Weiterbildung intrinsisch motiviert, schnell und unkompliziert. Es könnten zudem Synergien genutzt werden. Zudem sei diese Form der Weiterbildung nützlich, um Fehler zu vermeiden. Doch die Nachteile sind nicht ausser Acht zu lassen. Aufgrund inoffizieller Strukturen könne man leicht vom Thema abschweifen. Auch könne falsches Wissen weitergegeben werden, warnen die befragten Firmen.
Risiken des informellen Lernens
Von Bildungsspezialistinnen hört man überdies, dass informelles Lernen und damit zusammenhängend selbst gesteuertes Lernen von den Unternehmen eingesetzt werde, um Kosten zu sparen. Kosten sparen ist sicher ein Vorteil. Doch wenn das zur primären Motivation für eine Weiterbildungsaktion wird, kann der Schuss nach hinten losgehen. Denn genauso wenig, wie jeder und jede Mitarbeitende zum Coach geeignet ist, ist jeder und jede in der Lage, die eigene Weiterbildung zu organisieren und zu steuern.
Es bleibt also auch für KMU die Herausforderung, Weiterbildung in einem umfassenderen Sinn zu begreifen und zu konzipieren. Informelles Lernen kann dabei durchaus eine wichtigere Rolle als in der Vergangenheit spielen. Aber vielleicht ist sie nicht in jedem Fall der Weisheit letzter Schluss.
Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst in der Handelszeitung erschienen.