Die Pro Infirmis hat die erste Schweizer Studie veröffentlicht, bei der die Einschätzung der Betroffenen im Zentrum steht. Fazit: Zwei von drei Menschen mit Behinderungen sehen sich in ihren Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten limitiert.
In welchen Lebensbereichen fühlen sich Menschen mit Behinderungen diskriminiert? Diese Frage steht im Zentrum des Inklusionsindex von Pro Infirmis. Dieser soll gemäss der Organisation eine Lücke schliessen: Bisher gab es in der Schweiz keine Studie, welche die Meinungen, Bedürfnisse und Ansichten von Menschen mit Behinderungen systematisch erfragt hat. Somit sei es die erste Studie zur Inklusion der Schweiz, bei der die Perspektive der Betroffenen im Zentrum steht.
1433 Personen im Alter zwischen 16 und 64 Jahren mit unterschiedlichen Behinderungsarten und aus unterschiedlichen Sprachregionen haben Fragen zu zehn Lebensbereichen beantwortet. Das Resultat: 4 von 5 Menschen mit Behinderungen fühlen sich in mindestens einem Lebensbereich in ihrer Teilhabe stark eingeschränkt.
Am stärksten empfunden wird die Diskriminierung in den Bereichen Politik (50 Prozent der Befragten fühlen sich stark eingeschränkt), Arbeit (49 Prozent) und Mobilität (44 Prozent). Aber auch bei der Bildung ist der Wert mit 37 Prozent hoch.
Finanzielle Mittel fehlen
Insgesamt fühlen sich zwei von drei Menschen mit Behinderungen in der Schweiz in ihren Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten eingeschränkt. Personen, die aufgrund ihrer Behinderung keine Gelegenheit hatten, eine formale Aus- und/oder Weiterbildung zu absolvieren, empfinden die stärkste Einschränkung im Vergleich zu anderen Gruppen.
Bei den 16- bis 24-Jährigen ist die wahrgenommene Einschränkung im Vergleich zu den weiteren Altersgruppen am höchsten. In dieser Alterskategorie tragen insbesondere nicht angepasste Lernbedingungen zur Einschränkung bei. Die fehlenden finanziellen Mittel werden bei Menschen mit Behinderungen ab 35 Jahren als Hauptgrund der wahrgenommenen Einschränkung angegeben. Dieses Alterssegment lässt den Schluss zu, dass es sich bei der empfundenen Einschränkung um den Bereich der Weiterbildung handelt, denn unter den über 35-Jährigen absolviert weniger als jeder Zehnte eine Ausbildung, während etwa ein Drittel eine Weiterbildung besucht. Weiter wird auch die anstrengende Hin- und Rückreise zum Ausbildungsstandort mit einer erfahrenen Einschränkung in Verbindung gebracht.
30 Prozent der Befragten finden ausserdem die Lernbedingungen nicht angepasst. 21 Prozent bemängeln, der Zugang zu Ausbildungsstätten sei nicht barrierefrei.
Die Studie soll gemäss Pro Infirmis ein Weckruf an die Politik sein, sich verstärkt für Inklusion einzusetzen. Auch der SVEB beschäftigt sich mit Inklusion, zum Beispiel in der nächsten Ausgabe der Fachzeitschrift Education Permanente (EP).