«KI-basierte Tutoren können Lernende unterstützen»


Wie wird die künstliche Intelligenz die Weiterbildung verändern? Experte Harald Graschi, der an der AdA-Plattformtagung 2024 einen Workshop zum Thema «KI in der Bildungsarbeit» leiten wird, spricht im Interview über Chancen, Risiken und Hoffnungen.

Herr Graschi, wie stehen Sie der Entwicklung der künstlichen Intelligenz gegenüber: vorfreudig oder skeptisch? Und warum?
Die Entwicklung der KI löst bei mir eine Mischung aus diesen beiden Gefühlszuständen aus. Die Vorfreude entsteht aus dem enormen Potenzial, die Bildungsprozesse personalisierter, zugänglicher und effektiver zu gestalten. Ich bin begeistert von den Möglichkeiten, die diese Technologie eröffnet, um Lernprozesse zu individualisieren, Lerninhalte abwechslungsreich und anregend zu gestalten und neue Formen der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden – auch über Sprachgrenzen hinaus – zu ermöglichen.

Aber…?
Gleichzeitig bin ich skeptisch, da es wichtige Fragen der Ethik, des Datenschutzes und der sozialen Gerechtigkeit gibt, die bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI berücksichtigt werden müssen. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass KI-Systeme fair, transparent und für alle gleichermassen zugänglich sind.

Konkret: Wo kann KI in der Weiterbildung sinnvoll und gewinnbringend eingesetzt werden?
Die KI ermöglicht es, Lerninhalte und -methoden an die individuellen Bedürfnisse und Lernpräferenzen der einzelnen Lernenden anpassen. Gerade der Einsatz von KI-basierten Tutoren können Lernende bei schwierigen Aufgaben unterstützen, Feedback geben und Lernfortschritte verfolgen. Wenn ich mit ChatGPT eine Konversation starte, ist diese schon heute kaum mehr von einem Dialog unter Menschen unterscheidbar. Mein individueller Lernpfad entsteht durch die Fragestellungen (prompts), welche ich im Chatverlauf stelle. Wenn ich weiterhin kritisch denke und reflektiere, dann stelle ich fest, wie sich meine Art des Fragens dadurch verbessert. Durch die Interaktion mit der Maschine kann das eigene Bedürfnis und Ziel geschärft werden.

Was bedeutet das für die Ausbildenden?
Diese können sich durch die Automatisierung von Routine- und Kontrollaufgaben mehr auf die individuelle Betreuung der einzelnen Menschen, der Beobachtung der Gruppenprozesse und Auswertung der Lernprozesse konzentrieren. Und ich sehe noch ein grosses Potenzial.

Welches?
KI kann dazu beitragen, Bildung für Menschen mit Behinderungen oder in benachteiligten Regionen zugänglicher zu machen.

Und wo sehen Sie die Gefahren?
Die Gefahren der KI liegen wie bei jeder Technologie in ihrer übermässigen Nutzung und der damit verbundenen Abhängigkeit, welche entstehen kann. Jedes häufig benutzte Werkzeug oder Medium wird zu einem Teil des Menschen, wie dies Marshall McLuhan bereits 1964 treffsicher in «Understanding Media» feststellt. Der Motor ersetzt die Muskulatur, die elektrischen Signale die face to face-Kommunikation und ein Computer aus dem letzten Jahrhundert die einfachen kognitiven Prozeduren.

In diesem Fall bedeutet das…?
Eine zu starke Abhängigkeit von KI-Systemen kann die Fähigkeit der Lernenden, selbstständig zu denken und zu handeln, beeinträchtigen. Der wunde Punkt liegt aus meiner Sicht bei der Frage, wer noch nachvollziehen kann, wie die Ergebnisse entstehen. Es gibt bei der Verwendung von Routenberechnungen mit einem Navi genug Beispiele, welche es bis in die Schlagzeilen schaffen, wo das Denken abgeschaltet und dem Gerät blindlings vertraut wurde. Dies ist bei der Nutzung von KI-Tools nicht anders: « A fool with a tool is still a fool!»

Es braucht also Kontrolle.
Bereits Carl Rogers und der Verhaltensforscher B.F. Skinner waren sich bei einer Kernfrage einig: «Wer kontrolliert die Kontrolleure?» Damit meine ich nicht nur den Umgang mit grossen Mengen an personenbezogenen Daten, welche Risiken für den Datenschutz und die Privatsphäre der Lernenden bergen, die dann für werbezwecke verwendet werden. Die Betreiber der Plattformen können die Parameter bewusst einstellen und damit gezielt steuern, was gesehen wird. Dies wird sich so weiterentwickeln, wie wir es von der Suchmaschine Google und anderen Anbietern bereits kennen, wo die Monetarisierung wichtiger als der ursprüngliche Zweck geworden ist. Schlussendlich kann dies zu einem Verlust von Vertrauen führen, da die Funktionsweise vieler KI-Systeme komplex und schwer nachvollziehbar geworden ist. Hier wird es bedeutsam sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Lernenden, Ausbildenden und den Technologieanbietern gestärkt und transparent gestaltet wird. Es gibt bereits gute Beispiele in Europa, wie dies gelingen kann.

Gibt es noch weitere Nachteile?
KI-Systeme können Verzerrungen (bias) enthalten und verstärken, die zu voreingenommenen Darstellungen der Welt und Ungleichbehandlungen führen können. Ich werde in meinem Workshop das Beispiel zu den 500 von SRF generierten Bildern zum Begriff «Flight Attendant» verwenden. Es stellen sich wichtige Fragen: Was ist noch wahr? Was ist noch echt? Was ist noch gültig?

Wie wird der Einsatz von KI Ihrer Meinung nach die Weiterbildung verändern?
Ich denke, dass der Einsatz von KI dazu beitragen kann, Bildung individueller, flexibler und effektiver zu gestalten. Gleichzeitig wird sie neue Herausforderungen mit sich bringen, die es zu bewältigen gilt. Ausbildende müssen die Kompetenzen erwerben, damit umzugehen und zielgerichtet einzusetzen. Es ist wichtig, dass wir die Entwicklung von KI aktiv mitgestalten und sicherstellen, dass sie zum Wohle aller eingesetzt wird. Einige Szenarien und methodische Formen wie Blended Learning, Mikrolearning, Gamification, Adaptive und personalisierte Lernpfade werden durch diese Technologien nun umsetzbar. Darauf freue ich mich!

Harald Graschi ist Medienpädagoge und Supervisor am Institut für Berufsbildung der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. An der AdA-Plattformtagung vom 17. September 2024 wird er einen Workshop halten zum Thema «KI in der eigenen Bildungsarbeit einsetzen».

Weitere Informationen