Im Rahmen des EU-Projektes e-Protect wird zurzeit ein Train-the-Trainer-Toolkit entwickelt, das Ausbildende bei der Verwendung des e-Protect-Curriculums unterstützt. Wichtiger Aspekt dabei ist die Rolle der Ausbildenden in der Arbeit mit älteren Menschen. Die Technopädagogin Tatiana Armuna berichtet im Interview über ihre Erfahrungen mit dem IKT-Unterricht bei Seniorinnen und Senioren.
Frau Armuna, das e-Protect-Curriculum richtet sich an die Kompetenzen von Älteren im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Was macht ältere Menschen zu einer besonderen Zielgruppe?
Meines Erachtens handelt es sich bei Seniorinnen und Senioren nicht um eine einzige Zielgruppe. Ältere Menschen haben die alleinige Gemeinsamkeit des höheren Alters und werden darum als eine Zielgruppe definiert. Das bildet aber die Wirklichkeit nicht ab.
Seniorinnen und Senioren haben gerade wegen ihres fortgeschrittenen Alters viele verschiedene Hintergründe. Manche arbeiteten ihr ganzes Leben gearbeitet, andere haben nie in ihrem Leben eine Weiterbildung besucht. Wiederum andere, häufig Frauen, waren viele Jahre zu Hause und leisteten unbezahlte Arbeit. Sie alle nehmen aus ihren verschiedenen Biografien diverse Kompetenzen mit.
Wenn Seniorinnen einen IKT-Kurs besuchen, haben sie doch den gemeinsamen Nenner, dass sie ihre eSkills weiterentwickeln wollen?
Ja, sie haben auch die Eigenschaft gemeinsam, dass sie alle nicht mehr berufstätig sind. Wenn Ausbildende einen IKT-Unterricht entwerfen, ist auch dieser Faktor wichtig. Häufig kann man Weiterbildungsteilnehmende motivieren, indem man ihnen aufzeigt, welche beruflichen Chancen diese Weiterbildung ihnen ermöglicht. Bei Seniorinnen und Senioren liegt die Motivation aber nicht im beruflichen Aufstieg. Oftmals sind es persönliche oder soziale Auslöser. Die wahre Herausforderung einer ausbildenden Person liegt also darin, diese Beweggründe zu erkennen und einen gemeinsamen Einstieg in den Unterricht zu finden.
Welche persönlichen oder sozialen Motivationen mobilisieren die Senioren zur IKT-Weiterbildung?
Mit neun von zehn Teilnehmenden erlebe ich Folgendes: Ein Senior sieht bei seinen Enkelkindern, wie sie etwas mit einer bestimmten Applikation auf dem Smartphone erledigen. Dann kommen Sie mit der Frage zu mir, ob ich ihnen zeigen kann, wie man beispielsweise ein Bild per WhatsApp versendet. Die Motivation liegt also meistens darin, den gesellschaftlichen Anschluss nicht zu verpassen und mit den neusten Entwicklungen Schritt zu halten. Die Erwartung an den Unterricht ist daraus folgend lediglich, dass man diese Handlungsanweisung erhält und ein Smartphone genauso wie die Enkelkinder benutzen kann.
Und auf diese Erwartungen versuchen Sie im Unterricht einzugehen?
Selbstverständlich nicht. Es ist nicht meine Aufgabe, einem Senior zu erklären, wie er ein Bild per WhatsApp versendet. Ich sehe meine Aufgabe viel breiter. Es ist wichtig, dass man mit den Teilnehmenden über den Hintergrund und die Implikationen der Nutzung von digitalen Applikationen spricht.
Nehmen wir wieder das Beispiel vom Bildversand auf WhatsApp: Ich möchte im Rahmen eines IKT-Kurses mit den Seniorinnen auch über Themen wie Datenschutz und Privatsphäre sprechen. Also was ist Gesichtserkennung? Was heisst End-zu-End-Verschlüsselung? Darf ich Bilder versenden, ohne die abgebildete Person um Erlaubnis gebeten zu haben?
Der IKT-Unterricht umfasst für Sie mehr, als die Seniorinnen und Senioren zu befähigen, digitale Technologien im Alltag nutzen zu können?
Genau, mir geht es insbesondere darum, dass die Seniorinnen und Senioren auch ihre Autonomie beibehalten können. Wenn ich im IKT-Unterricht über die Hintergründe verschiedener Applikationen spreche, dann gebe ich ihnen auch die Wahlfreiheit, mit welcher App sie am Ende ihr Bedürfnis erfüllen. Wenn ich ihnen lediglich anhand einer Anwendung zeige, wie sie diese ausführen, dann handelt es sich dabei um eine gewisse Bevormundung. Mein Ziel ist es, die Möglichkeiten in der digitalen Welt und deren Hintergründe aufzuzeigen, sodass Seniorinnen und Senioren selbst Entscheidungen treffen und autonom handeln können.
Geht es im Unterricht mit Älteren also im Kern darum, die Autonomie zurückzuerlangen?
Unter anderem. Es geht wie allgemein in der Erwachsenenbildung primär darum, auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen. Eine Erwachsenenbildnerin oder ein Erwachsenenbildner sollte nicht damit ringen, ein Curriculum durchzugehen und möglichst dem Lehrplan zu folgen. Die Kunst liegt darin, den Bedarf der Teilnehmenden zu erkennen und mit Alltagssituationen zu arbeiten.
Die Anforderungen an die Ausbildenden sind nicht anders als in der Arbeit mit anderen Zielgruppen?
Doch, sehr wohl. Das Rollenverständnis ist häufig anders. Eine ausbildende Person ist meist jünger als jedes Mitglied der Lerngruppe. Mit diesem Altersunterschied umgehen zu können, ist nicht selbstverständlich.
Wie lautet Ihr Ratschlag für Ausbildende, die neu mit Älteren arbeiten wollen?
Ich lege allen Einsteigerinnen und Einsteigern ans Herz, zuerst Ausbildende in diesem Bereich zu begleiten und von deren Erfahrungen zu lernen. Das muss aber auch nicht zwingend im Bildungsbereich sein. Jede Erfahrung mit Seniorinnen und Senioren gibt den Beginnenden die Möglichkeit, diese Rolle als Fachperson einzuüben. Auch wenn man eine grosse fachliche Kompetenz besitzt, muss die Sozialkompetenz im Umgang mit Älteren geübt werden.
Interview: Saambavi Poopalapillai
Bild: Tatiana Armuna