Was bringt die internationale Zusammenarbeit in Bezug auf Weiterbildung? Und warum steht die Schweiz diesbezüglich in der Verantwortung? Katharina Walker, Senior Beraterin Berufsbildung bei Helvetas, spricht im Interview über die Wirkung von Vernetzung, Best Practices und das GO-Modell.
Interview: Marianne Müller
Du bist bei Helvetas als Senior Beraterin Berufsbildung tätig. Was muss man sich darunter vorstellen?
Helvetas ist eine der grössten Schweizer Nichtregierungsorganisation in der internationalen Zusammenarbeit, für die ich als Beraterin für Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern im Bereich Berufsbildung tätig bin. Konkret berate ich unsere Projektteams und deren Partner vor Ort, zum Beispiel im Westbalkan, im Südkaukasus und früher in Myanmar. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen arbeite ich an neuen Bildungsprojekten. Vor Ort und über Distanz berate ich die Projektteams und ihre Partner zu konkreten Herausforderungen, zum Beispiel wie grüne Kompetenzen gefördert werden können oder wie Geschäftsmodelle im Weiterbildungsbereich funktionieren. Auch für die Qualitätssicherung der Projekte spielen wir thematischen Beraterinnen und Berater eine wichtige Rolle. Sehr gefragt sind auch Best Practices aus der Schweiz, die ich in Zusammenarbeit mit Partnern wie dem SVEB konzeptionell an den lokalen Kontext anpasse. Der Austausch von Wissen, das Lernen von Best Practices und die Förderung von Innovationen sind mir persönlich wichtige Aspekte meiner Arbeit.
Welche Rolle siehst du in der Weiterbildung für die internationale Zusammenarbeit?
1,8 Milliarden Menschen sind heute zwischen 10 und 24 Jahre alt – die grösste Jugendgeneration in der Geschichte. Fast 90 Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern, wo sie einen grossen Teil der Bevölkerung ausmachen. Wenn wir an Weiterbildung denken, denken wir vielleicht nicht direkt an junge Menschen, aber aufgrund fehlender oder qualitativ schlechter staatlicher Berufsbildungssysteme spielt Weiterbildung in vielen Ländern eine wichtige Rolle. Um dem Klimawandel zu begegnen, müssen Beschäftigte in der fossilen Energiewirtschaft neue Qualifikationen erwerben. Mit der fortschreitenden grünen Transformation sind neue Berufe entstanden, die für junge Menschen von grossem Interesse sind, aber auch bestehende Beschäftigte müssen umfassend umgeschult werden. Durch die Digitalisierung fallen Arbeitsplätze weg, aber es entstehen auch viele neue. Es entstehen ständig neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmende mit nicht-routinemässigen kognitiven Fähigkeiten und sozialen und emotionalen Kompetenzen.
Hat die Schweiz diesbezüglich eine Verantwortung?
Die Schweiz als wohlhabendes und international besonders stark vernetztes Land hat einerseits eine Verantwortung, einen positiven Beitrag zu leisten zur Lösung globaler Herausforderungen. Andererseits haben wir auch ein Eigeninteresse: Bildung und Weiterbildung sind wichtig für das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern, was wiederum unsere Absatzmärkte stärkt. Dazu kommen Herausforderungen wie Klima, Umwelt, bewaffnete Konflikte, Migration, Gesundheit, die nicht einfach an unseren Grenzen halt machen. Die Schweiz kann durch ihre Expertise und Ressourcen dazu beitragen, Bildung, Berufsbildung und Weiterbildung als Mittel zur Armutsbekämpfung, Konfliktprävention und nachhaltigen Entwicklung weltweit zu stärken. Diese Verantwortung wahrzunehmen ist ein Beitrag zur Förderung einer gerechteren und nachhaltigeren Welt.
Wo liegen die Herausforderungen bei der Förderung von Weiterbildung in den Projektländern?
Unklare und sich überschneidende Rollen und Zuständigkeiten sowie die Fragmentierung des Bildungssystems erschweren in vielen Partnerländern die Konzeption und Umsetzung von Weiterbildung. Damit verbunden sind begrenzte finanzielle Ressourcen. Die ohnehin knappen staatlichen Finanzmittel werden meist für die formale Bildung eingesetzt. Diese und andere Herausforderungen wie der Zugang zu Weiterbildung oder mangelnde Kompetenzen der Ausbildenden können durch gezielte und koordinierte Unterstützung verbessert werden. Helvetas setzt sich dafür ein, das Bewusstsein für den Nutzen von Weiterbildung für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung zu fördern. Um wirksame und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, arbeiten wir mit einer Vielzahl von lokalen staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Partnern zusammen.
Damit wir uns das besser vorstellen können: Kannst du ein Beispielprojekt beschreiben, in dem Weiterbildung gefördert wurde?
Das DEZA-Projekt Enhancing Youth Employment (EYE) wurde 2013 lanciert und arbeitet seither an der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit junger Frauen und Männer im Kosovo. Helvetas hat die Zusammenarbeit zwischen privaten Bildungsanbietern, Unternehmen und Verbänden in Wachstumsbranchen wie Informatik, Business Product Outsourcing (BPO), Holzverarbeitung, Solar, Detailhandel und Bäckerei/Konditorei verbessert und so die Grundlage für marktorientierte Weiterbildungen geschaffen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: 21’000 Jugendliche haben davon profitiert. Über 30 Bildungsanbieter haben 104 neue Weiterbildungsangebote geschaffen, zehn neue Bildungsanbieter sind entstanden und dank nachhaltiger Geschäftsmodelle weiterhin am Markt.
Der SVEB unterstützt Helvetas seit mehreren Jahren in verschiedenen Projekten. Wie kann sich der SVEB oder das Schweizer Weiterbildungssystem in die internationale Zusammenarbeit einbringen?
Mit dem GO-Modell des SVEB! Es kommt zum Beispiel in Kirgistan zum Einsatz, wo arbeitsplatzspezifische Kurse für Betriebe und Mitarbeitende entstehen sollen. Das GO-Modell stellt im CHeber Skills Development Projekt der Schweizer Botschaft das Know-how für arbeitsplatzspezifische Kursangebote für kirgisische Betriebe und Mitarbeitende bereit. Auch in Mosambik wird das GO-Modell erfolgreich eingesetzt. Wie in vielen Ländern mangelt es den Teilnehmenden an Weiterbildungsangeboten an Grundkompetenzen und die Weiterbildungsanbieter sind nicht darauf vorbereitet, diese Defizite auszugleichen. Im Rahmen des DEZA-Projekts SiM ermöglicht Helvetas zusammen mit dem Bildungsministerium und lokalen Bildungsministerium und lokalen Alphabetisierungszentren kurze Kurse in Lesen, Schreiben und Rechnen direkt am Arbeitsplatz. Durch den Austausch von Best Practice aus der Schweiz fördert der SVEB ausserdem das Verständnis für einen marktorientierten Ansatz in der Weiterbildung in unseren Partnerländern. An verschiedenen Konferenzen und Workshops konnte ich feststellen, dass das schweizerische Verständnis eines starken privaten Weiterbildungsmarktes auf grosses Interesse stösst und als Inspiration dient, die formale, staatlich konzipierte Erwachsenenbildung marktorientierter zu gestalten.
Der SVEB arbeitet in einer beratenden Funktion im Projekt Education for Employment E4E in Nordmazedonien mit. Ganz konkret: was hat der SVEB zu diesem Projekt beitragen können?
Im Projekt Education for Employment (E4E) der DEZA in Nordmazedonien leistet der SVEB seit 2017 wertvolle beratende Unterstützung und bringt Schweizer Know-how in den Bereichen Weiterbildung und Arbeitsmarktintegration ein. Der SVEB hat in verschiedenen Kernbereichen aktiv mitgearbeitet: Zu Beginn des Projekts konzentrierte sich die fachliche Beratung auf das Thema Arbeitsmarktintegration und die Palette der dafür zur Verfügung stehenden Massnahmen. Dies führte unter anderem zu einem Fachaustausch einer mazedonischen Delegation mit dem RAV in der Schweiz. Zweitens unterstützte der SVEB die Entwicklung moderner Lernmethodik und Lehrmittel, die für eine qualitativ hochstehende berufliche Weiterbildung unerlässlich sind. Drittens vermittelt der SVEB Kontakte zu Schweizer Organisationen der Arbeitswelt wie dem Schweizerischen Baumeisterverband, carrosserie suisse und der OdA Umwelt und leistet damit einen Beitrag zu einer wirtschaftsorientierten Berufs- und Weiterbildung in Nordmazedonien. Und viertens berät der SVEB das Projekt zu neuen Themen in der beruflichen Weiterbildung wie grüne Transformation und Digitalisierung.
Was ist das Schönste bzw. Bewegendste, das du bei deiner Arbeit erlebt hast?
Bewegt haben mich die Gründung des Berufsbildungsinformationszentrums (BIZ) – das erste BIZ überhaupt in Albanien – und die motivierten Berufsberater/innen in Tirana, Albanien. Im Rahmen des DEZA-Projekts RisiAlbania unterstützt Helvetas verschiedene albanische Akteure beim Aufbau und der Verbesserung des Berufsberatungssystems. In Albanien hat die Berufsbildung einen geringeren Stellenwert als in der Schweiz und es fehlten Strukturen, die die Berufswahl erleichtern, weshalb ein öffentliches Angebot wie das BIZ sehr wichtig ist. Die Mitarbeiter/innen des BIZ in Tirana haben die Arbeit des BIZ im Tessin von der Pike auf gelernt (die Menschen in Albanien sprechen sehr gut Italienisch). Verschiedene Dokumente aus der Schweiz wurden ins Albanische übersetzt. Die Universität Lausanne hat mit der Universität Tirana international anerkannte Tests für die Berufsberatung an den lokalen Kontext angepasst. Es war mir eine grosse Freude, die langjährige Kooperation zwischen albanischen und schweizerischen Experteninnen und Experten in diesem BIZ in Tirana so plastisch zu sehen und zu wissen, dass wir damit einen nachhaltigen Beitrag zur Berufs- und Karrierewahl von jungen Menschen leisten.