Pius Gruber war über 10 Jahre Leiter der Klubschule Migros Zürich und zuletzt CEO der Miduca. Nun geht er in Pension. Im Interview spricht er über veränderte Lernbedürfnisse, die Zukunft der Weiterbildung und den SVEB.
Herr Gruber, Sie blicken auf eine lange Karriere bei den Klubschulen zurück. Was waren ihre Highlights aus dieser Zeit?
Nach meiner Tätigkeit als Prorektor am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen Kanton Zürich, ZAG, entschied ich mich für den Wechsel vom öffentlichen Dienst in die Privatwirtschaft bei den Klubschulen. Dieser Schritt ermöglichte mir einen breiten Aufgabenbereich und war äusserst bereichernd. Die Übernahme der Gesamtverantwortung für eine «Bildungs-KMU» erlaubte es mir, meinen reichen Bildungsrucksack im Bildungsmanagement voll und ganz einzubringen. Gemeinsam mit einem starken und innovativen Schulleitungsteam sowie motivierten Kolleginnen und Kollegen setzten wir umfassende Neuausrichtungen um.
Zum Beispiel?
In diesem Prozess haben wir die Schule neu organisiert und konsequent neue Führungsinstrumente implementiert. Das Ergebnis war ein Führungsstil, der auf Herz und Fakten basiert. Wir etablierten kundenfokussierte Abteilungen, angefangen beim Produktmanagement mit dem frühzeitigen Einsatz neuer Medien im Sprachunterricht über den Verkaufsbereich mit seinen modern gestalteten Klubschulen als Begegnungsort für unsere Kundinnen und Kunden. Zudem entwickelten wir erfolgreich eine Abteilung für Firmenkundschaft und erreichten die ISO-Zertifizierung unserer Prozesse. Den krönenden Abschluss meiner beruflichen Laufbahn bildet die Fusion der neun regionalen Klubschulen und der Koordinationsstelle des MGBs zur Miduca AG, mit der wir einen neuen Weg eingeschlagen und eine zentralisierte und funktionierende Bildungsorganisation aufgebaut haben. Darauf bin ich stolz. Das ist ein bedeutendes Kapitel in der Migros-Geschichte.
Die Corona-Krise war für die Weiterbildungsanbieter mit enormen Herausforderungen verbunden. Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Die Corona-Krise hat auch für die Klubschule Migros, das Institut für berufliche Aus- und Weiterbildung IBAW und das Tanzwerk101 eine bedeutende Herausforderung dargestellt. Jedoch eröffnete die Krise auch zahlreiche Chancen. Mit Entschlossenheit, Kreativität, Pioniergeist und einem klaren Fokus auf die Bedürfnisse der Kursteilnehmenden und Studierenden haben Lehrpersonen und Mitarbeitende flexibel auf verschiedene Veränderungen, einschliesslich Bundesratsentscheide, reagiert. Dank der Pandemie haben wir uns rasch mit den neuen Technologien vertraut gemacht und innovative Wege für einen unkomplizierten Zugang zur Bildung implementiert.
Seit der Corona-Krise befindet sich die Weiterbildungsbranche in einem beschleunigten Umbruch. Wie nehmen Sie diesen wahr?
Die Corona-Krise markierte den Beginn einer umfassenden digitalen Transformation. Heutzutage endet das Lernen nicht mehr mit dem Abschluss der schulischen oder beruflichen Ausbildung. New Work, digitale Vernetzung, Big Data und künstliche Intelligenz sind zu festen Bestandteilen unseres Alltags geworden. Angesichts der ständigen Veränderungen in der VUCA-Welt ist es entscheidend, fortlaufend neue Kompetenzen zu erwerben, um die zahlreichen Möglichkeiten, die sich bieten, zu nutzen. Dies unterstreicht die Bedeutung des lebenslangen Lernens.
Wie hat die Miduca darauf reagiert?
Um im hektischen Alltag Schritt zu halten, erfreuen sich Bildungsangebote im Bereich Entspannung, Achtsamkeit und Resilienz wachsender Beliebtheit. Die Miduca AG trägt diesem Bedarf Rechnung, indem wir nicht nur Präsenzkurse, sondern eine Vielzahl von Online- und Blended-Learning-Optionen anbieten. Das IBAW stellt dabei besonders interessante Formate vor, die sich mit New Work und der digitalen Transformation auseinandersetzen. Als Gegentrend zur voranschreitenden Digitalisierung haben wir bei der Klubschule unser ohnehin schon sehr vielfältiges Angebot in den Bereichen Gesundheit und Kreativität weiter ausgebaut. Ebenso bleibt das Erlernen von Sprachen nach wie vor eine gefragte Komponente unseres Angebotes.
Welche zentralen Trends sehen Sie derzeit in der Weiterbildungsbranche? Und wie werden sich diese auf das Weiterbildungsangebot in der Zukunft auswirken?
Neben der Digitalisierung, neuen Anforderungen und dem lebenslangen Lernen sehe ich folgende zentrale Trends:
- Hybride Lernformate
- Mobile Learning
- Skill-basiertes Lernen
- Personalisierte Weiterbildung mit KI-Unterstützung
- Micro Learning
- Gamification, Virtual Reality etc.
- Globalisierung der Bildung
Diese Trends spiegeln den aktuellen Bedarf wider, indem sie flexibles, auf die individuellen Fähigkeiten zugeschnittenes Lernen fördern. Insbesondere die Integration von KI und personalisierten Lernansätzen wird die Zukunft der Weiterbildungsbranche prägen, indem sie effizientere und zielgerichtetere Lernmöglichkeiten schafft.
Wie haben sich die Bedürfnisse der Teilnehmenden in den letzten Jahren verändert?
Die Bedürfnisse im Bildungsbereich sind äusserst unterschiedlich und variieren je nach Lebensphase der Bildungsinteressierten. Insbesondere im Hinblick auf meine bevorstehende Pensionierung Ende Januar 2024 möchte ich auf die Bedürfnisse der «Best Ager» eingehen. Diese Altersgruppe ist äusserst vital, aktiv und nimmt bis ins hohe Alter unterschiedliche Bildungsangebote wahr. Die rapide fortschreitende Technologieentwicklung hat einen Einfluss darauf, wie Lerninhalte präsentiert und aufgenommen werden. Auch die zunehmende Flexibilität und Verfügbarkeit von Online-Lernmöglichkeiten spielen eine wichtige Rolle bei der Anpassung an die Bedürfnisse älterer Lernender. Somit zeigt sich, dass die Bildungslandschaft ständig im Wandel ist, um den sich verändernden Bedürfnissen und Erwartungen gerecht zu werden.
Wie sieht die Weiterbildungslandschaft im 2040 aus?
Da ich leider keine Glaskugel habe, wären Aussagen dazu reine Spekulationen. Was jedoch Tatsache ist, ist die fortschreitende Integration von Technologien in die Bildung, ähnlich wie viele Entwicklungen, die einst Science-Fiction waren und heute Teil unseres Alltags sind, wie das iPhone. Dieses technologische Fortschreiten basiert auf dem geschickten Verbinden vorhandener Technologien mit einer klaren Vision. Meine Vision für eine Lernumgebung der Zukunft gleicht dem Holodeck aus Star Trek. Dort wäre es möglich, jede Lernsituation lebensecht und wirklichkeitsnah quasi mit einem Fingerschnippen als Lernumfeld mit realen Bedingungen verfügbar zu machen und die gewünschte Kompetenz zu erarbeiten, vom Sprachentraining in einem Restaurant in Paris bis hin zu komplexen Lern- oder Stresssituationen, wie dem Entschärfen einer Bombe auf einem Flughafen oder dem Empfang und der Behandlung von verunfallten Menschen in einer Notfallstation. Neben diesen technologischen Möglichkeiten bleibt jedoch die Virtuosität der Person gefragt, die das Lernsetting begleitet. Ohne eine geschickt konzipierte Simulation, die kompetent begleitet wird, entfaltet sich die Wirkung von neuen Technologien im Lernen nicht. Dies wird bereits heute bei vielen Online-Angeboten deutlich, wo die Rate der Aussteigenden aufgrund mangelnder Betreuung hoch ist.
Sie waren mehrere Jahre Mitglied des Vorstands des SVEB. Wo steht der Verband heute aus ihrer Sicht?
Für mich erfüllt der SVEB eine bedeutende Rolle, insbesondere in seiner langjährigen Verbindung mit der Migros. Das Engagement im bildungspolitischen Bereich für Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen betrachte ich als immensen Wert. Es ist äusserst wichtig, diesem Bereich einen hohen Stellenwert zu geben, um als Gegengewicht zur Technologiegläubigkeit und Reduzierung von Ressourcen für die Bildung zu agieren. Während ich Vorstandsmitglied war, kam es vor, dass die Mehrheit des SVEB in verschiedenen Themenbereichen eine konträre Position zu politischen Entscheiden einnahm. Es ist keine einfache Aufgabe, diese Position zu halten, insbesondere wenn es um die Finanzierung der Organisation und ihrer Projekte geht. In solchen Situationen ist der gegenseitige Austausch und die Suche nach gemeinsamen oder neuen Möglichkeiten eine Herausforderung, die der Vorstand gemeinsam mit der Leitung des SVEB bewältigen muss. Dabei sollte der Nutzen für die Erwachsenenbildung und die Mitglieder des Verbands den Vorstand in seinen Entscheidungen leiten. Mit meiner ordentlichen Pensionierung als CEO der Miduca AG werde ich auch aus dem Vorstand des SVEB zurücktreten. Diese Position war für mich eine inspirierende Aufgabe, bei der ich gemeinsam mit meinen Vorstandskolleginnen und -kollegen für die Weiterbildung einstehen konnte. Ich möchte mich herzlich für alles bedanken, was ich aus dieser Erfahrung mitnehmen durfte. Meinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand wünsche ich weiterhin ein engagiertes und erfolgreiches Wirken.