Die Twin Transition beschreibt den Wandel hin zu einer nachhaltigeren und digitaleren Zukunft. Die Erwachsenenbildung spielt dabei eine wichtige Rolle, welche das internationale Projekt ALE4TT noch stärken soll. Im Interview mit EPALE, der Plattform für Erwachsenenbildung in Europa, gibt Projektleiterin Marianne Müller Auskunft.
Interview: Gabriele Müller (EPALE)
Das Projekt ALE4TT unterstützt Organisationen der Erwachsenenbildung (Adult Learning and Education, ALE) dabei, die zentrale Bedeutung der Erwachsenenbildung in der Twin Transition (TT) sichtbar zu machen und politisch zu verankern. Die Erwachsenenbildung spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Menschen für digitale Entwicklungen und nachhaltiges Handeln zu befähigen. Erwachsenenbildung soll und kann digitale und nachhaltige Kompetenzen vereinen und damit einen Beitrag zu einer gerechteren Transition leisten.
Marianne Müller ist Projektleiterin Forschung und Internationales beim SVEB und berichtet über das Projekt Advocacy for Twin Transition (ALE4TT).
Wer hat ALE4TT ins Leben gerufen und von wem wird es getragen?
Das Projekt ALE4TT – Advocacy for Twin Transition wurde vom Schweizerischen Verband für Weiterbildung initiiert. Der SVEB unterstützt Organisationen und Fachleute der Weiterbildung mit konkreten Hilfestellungen, Informationen und auf politischer Ebene. Partner dabei sind der Europäischer Verband für Erwachsenenbildung (EAEA) und der International Council for Adult Education (ICAE). Gemeinsam wurde das Projekt konzipiert und implementiert. Finanziert wird das Projekt von Movetia, der nationalen Agentur zur Förderung von Austausch und Mobilität im Bildungsbereich in der Schweiz.
Dann ist es ja kein reines Schweizer Projekt. War das von Anfang an so geplant?
Ja, das Projekt wurde von Anfang an als internationales Projekt konzipiert. Die Twin Transition ist ein globales Thema, das wir grenzüberschreitend diskutieren müssen. Deshalb lebt ALE4TT vom internationalen Austausch mit Inputs und Best Practices von Weiterbildungsakteuren aus Europa und weltweit. Best Practices wurden in den Trainings verschiedene genannt. Beispielsweise das Programm Maroc Digital 2025/2030, bei dem der marokkanische Staat aktiv die Digitalisierung vorantreibt, um öffentliche Dienstleistungen zu verbessern, digitale Teilhabe zu fördern und soziale Ungleichheiten abzubauen. In der Schweiz gibt es das Lifelong-Learning-Programm, das durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft mittels gemeinsamer Finanzierung gezielte digitale Weiterbildungen für Arbeitnehmende ermöglicht. Und eine Fallstudie aus Uganda zeigte, wie Wissen zu nachhaltiger Landwirtschaft in die Erwachsenenbildung integriert wird, um ländliche Haushalte mit nachhaltigen Anbaumethoden zu stärken, die Produktivität zu steigern und Armut zu reduzieren.
Erwachsenenbildung und Twin Transition – welche Zusammenhänge gibt es da?
Die Twin Transition beschreibt den Wandel komplexer Systeme – bestehend aus sozialen, technologischen und ökologischen Komponenten – hin zu einer nachhaltigeren und digitaleren Zukunft. Die Erwachsenenbildung spielt dabei eine zentrale Rolle als Motor für individuelle und gesellschaftliche Veränderung. Erwachsene brauchen entsprechendes Wissen, Kenntnisse und Kompetenzen, um in der digitalen und grünen Transition wirken zu können. Erwachsene müssen dazu befähigt werden, die Twin Transition aktiv mitzugestalten. Auch hier gibt es verschiedene Beispiele. Ganz banale Beispiele sind digitale Kompetenzen zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Wissen zu erneuerbaren Energien, energieeffizienten Verfahren und nachhaltigen Produktionstechniken.
ALE4TT endet ja in diesem Jahr. Welche Ziele haben Sie erreicht?
Das übergeordnete Ziel von ALE4TT ist, die Rolle der Weiterbildung in der digitalen und der grünen Transition zu stärken – in der Schweiz, in Europa und global. Zur Stärkung der Weiterbildung in diesem Feld sind Advocacy-Massnahmen nötig. Vor diesem Hintergrund hat das Projekt erstens mit partizipativen Methoden ein Trainingsprogramm konzipiert, das Wissen und Kompetenzen zu politischen Prozessen sowie Werkzeuge zur Interessensvertretung vermittelt. Darauf aufbauend wird eine Toolbox entwickelt, die allen Interessierten offensteht. Das Trainingsprogramm wurde im Mai 2024 in Belgrad und im Mai 2025 in Brüssel mit internationalen Gruppen mit je zwölf Teilnehmenden aus neun verschiedenen Ländern durchgeführt. Die Teilnehmenden waren Weiterbildungsakteure mit Erfahrung in Interessensvertretung. Neben theoretischen Inputs wurden in den Kursen im gemeinsamen Austausch Best Practices geteilt und Aktionspläne erstellt.
Worum ging es bei den beiden Trainings?
Im ersten Training in Belgrad standen Grundlagen zur digitalen und grünen Transition im Fokus. Darauf aufbauend war das Training in Brüssel auf die Advocacy-Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Weiterbildung in der Twin Transition ausgerichtet. Während des dreitägigen Trainings in Belgrad haben wir einen Study Visit zur Kolubara Mine Site gemacht und vor Ort die Auswirkungen der Kohleindustrie gesehen, aber auch digitale Tools zum Umgang mit den Veränderungen und zur Wissensvermittlung kennengelernt. In Brüssel war ein besonderes Highlight der Study Visit im BeCentral Campus – einem Zentrum für digitale Bildung in Brüssel. Dort lernten die Teilnehmenden innovative Ansätze kennen, wie etwa den Einsatz von KI zur Bewertung von Umweltauswirkungen im FARI-Institut oder inklusive Schulungsangebote im Orange FabLab. Diese Beispiele zeigten eindrücklich, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenwirken können – und welche Rolle die Erwachsenenbildung dabei spielt.
Können Sie noch etwas zu dem Toolkit von ALE4TT sagen? Können darauf alle zugreifen, die in der Erwachsenenbildung arbeiten?
Ja, die Toolbox steht allen Interessierten offen. Sie bietet eine Vielzahl an Informationen rund um Erwachsenenbildung im Kontext der Twin Transition. Sie beginnt mit einer Einführung und enthält Videos sowie Materialien zur grünen und digitalen Transformation. Darüber hinaus bietet sie Publikationen zu didaktischen und methodischen Ansätzen, darunter projektive Methoden, die Durchführung von Open-Space-Formaten sowie partizipative Planungsansätze. Für eine vertiefte Auseinandersetzung stehen praktische Ressourcen wie Links zu weiterführenden E-Learning-Angeboten – etwa ein Online-Kurs zur gerechten Transformation («Just Transition») – sowie der Podcast Beyond Learning zur Verfügung. Die Toolbox enthält ausserdem Präsentationen und Good Practices aus den Trainings in Belgrad und Brüssel. Abschliessend finden sich Empfehlungen für die Praxis, Forschung und Politik, die ebenfalls im Rahmen der Trainings entwickelt wurden.