Informelles Lernen ist privat oder beruflich in allen Lebensphasen eine wichtige Lernform. Vor 20 Jahren von der EU als wichtiger Teil des lebenslangen Lernens postuliert, hat informelles Lernen seither kontinuierlich an Bedeutung gewonnen.
Der Begriff «Lebenslanges Lernen» hat sich in allen Bildungsbereichen durchgesetzt, in der Weiterbildung genauso wie bei den Hochschulen und in der Berufsbildung. Das bedeutet, Lernen nicht mehr mit formaler Bildung und standardisierten Abschlüssen gleichzusetzen. Eine Rolle spielt dabei der Kompetenzbegriff: Wichtig ist nicht mehr, was gelernt und geprüft wird, sondern das Lernergebnis. Unbedeutend ist dabei, welchen Weg wir nehmen, um ein Ergebnis zu erzielen.
Die Corona-Pandemie sowie der Digitalisierungsschub haben diese Entwicklung verstärkt. Pandemiebedingt wurde vor über einem Jahr die Weiter- sowie die Hochschulbildung in den digitalen Raum verlegt. Schon zuvor waren zahlreiche digitale Lernangebote im Internet frei verfügbar. Mit dem Präsenzverbot während der Pandemie hat sich dieses Angebot jedoch stark erweitert. Infolgedessen haben digitale Lernmöglichkeiten an Wert gewonnen: Zumal Präsenzlernen nach einem Jahr digitaler Weiterbildungskurse und ganzer Studiengänge nicht mehr als grundsätzlich höherwertig als digitales Lernen angesehen werden darf.
Anerkennung des informellen Lernens
Zum informellen Lernen gehört das Lernen am Arbeitsplatz, das Nutzen von YouTube-Videos und anderen frei verfügbaren Lernressourcen sowie der Austausch in digitalen Foren und Netzwerken. Stark zugenommen haben auch digitale Lernangebote wie MOOCs, kostengünstige oder frei zugängliche Lehrgänge sowie Webinare, die zwar zur organisierten Weiterbildung gehören, aber ähnlich informell genutzt werden können wie YouTube-Videos. Viele dieser Angebote beinhalten weder Aufnahmebedingungen noch eine Verpflichtung zur aktiven Beteiligung und erfordern keine Kompetenznachweise.
Gewinnt informelles und selbstorganisiertes Lernen längerfristig an Bedeutung, stellt sich die Frage: Wie lässt sich dieses erfassen und abbilden – auch weitgehend ausserhalb der etablierten Bildungsinstitutionen im Internet, am Arbeitsplatz oder im privaten Kontext?
Es gibt Verfahren, um informelles Lernen anzurechnen, beispielsweise mittels Validierungsverfahren in der beruflichen Grundbildung oder Ansätze wie das Modell F, bei dem erworbenes Wissen an eine Weiterbildung angerechnet wird, was somit die Weiterbildungsdauer verkürzt. Verfügbar sind verschiedene Methoden zur Erfassung, Dokumentation und Bilanzierung informeller Lernleistungen (bspw. CH-Q). Diese aufwendigen, biografisch orientierten Verfahren sind nützliche Instrumente zur Standortbestimmung und Orientierung, eine Anerkennung der erfassten Kompetenzen beinhalten sie aber nicht. Ein Validierungsinstrument, um informelles Lernen als eigenständige Leistung ausserhalb formaler Bildung anzuerkennen, gibt es indes bisher nicht.
Veränderte Perspektive
Informelles Lernen ist dezentral, unsystematisch, individuell und erfahrungsbezogen. Der grosse Vorteil dieser Lernform ist, dass situativ anhand sich stellender Probleme gelernt wird. Dadurch geschieht der Transfer des Gelernten in die Praxis oft bereits im Lernprozess selbst. Das informelle Lernen hat aber auch Nachteile. So ist es fehleranfällig, kann fragmentiert sein und ist nicht immer nachhaltig.
Aufgrund dieser Eigenheiten ist das informelle Lernen schwer erfassbar. Dennoch wäre es nötig und prinzipiell möglich, dafür Validierungsverfahren zu entwickeln. Notwendig wäre das nicht zuletzt deshalb, weil die Vielfalt an Lernformen und Lernressourcen steigt. In der betrieblichen Weiterbildung zeigt sich ausserdem die Tendenz, dass Lernen immer stärker an den Arbeitsplatz verlagert wird, was die Bedeutung des informellen Lernens ebenfalls steigert. Wenn dieses nicht begleitet, erfasst und dokumentiert wird, bleiben die so erworbenen Kompetenzen jedoch unsichtbar und ihr Wert schwer einzuschätzen. Arbeitgebende, die sich nur auf formale Abschlüsse verlassen, könnten somit einen Teil der Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden übersehen.
Von: Irena Sgier, Leiterin Forschung, Entwicklung und Innovation beim SVEB
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Bild: SVEB Learning