Individualisierung in der Weiterbildung


In der Weiterbildung lässt sich seit einigen Jahren ein wachsender Trend zur Individualisierung und Personalisierung des Lernens beobachten. Mit dieser Entwicklung setzte sich die diesjährige Tagung der Reihe «Weiterbildung in Forschung und Praxis» im Februar in Zürich auseinander. Individualisierung ist zudem Thema der nächsten Ausgabe der SVEB-Zeitschrift «Education Permanente» (EP).

Unter dem Titel «Individualisierung des Lernens – Königsweg der Bildung?» luden der SVEB und die Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH) im Februar 2023 Interessierte ein, sich mit Konzepten, Potenzialen und Risiken der Individualisierung in der Weiterbildung auseinanderzusetzen. Das ausgeprägte Interesse an der Tagung – es nahmen rund 120 Personen aus Wissenschaft und Praxis teil – zeigt, dass die Thematik derzeit viele Weiterbildungsakteure beschäftigt.

Megatrend Individualisierung

Der Begriff Individualisierung stammt aus der Soziologie und bezeichnet eine längerfristige gesellschaftliche Entwicklung. Zu deren zentralen Merkmalen gehört, dass individuelle Bedürfnisse, Werthaltungen oder Lebensentwürfe in der Gesellschaft an Bedeutung gewinnen, während tradierte Modelle an Relevanz verlieren. Im Rahmen dieses Prozesses, der auch als Megatrend bezeichnet wird, kommt es zu einer Pluralisierung der Gestaltungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichsten Gebieten, auch in der Bildung. Damit einher geht, dass Aspekte wie Selbst- und Mitbestimmung oder Sinnorientierung an Bedeutung gewinnen.

Folgen für die Weiterbildung

Individualisierung ist kein andragogischer Begriff. In der Erwachsenenbildung existieren aber seit Langem Konzepte, die Kernaspekte des heutigen Individualisierungstrends beinhalten. Dazu gehören etwa die Teilnehmerorientierung, Konzepte des selbstgesteuerten Lernens oder Ansätze wie die Lebensweltorientierung oder die milieusensible Weiterbildung (vgl. Helmut Bremer). Diese Ansätze sind bestrebt, bei der Planung und Umsetzung von Lernangeboten individuelle oder zielgruppenspezifische Voraussetzungen und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das wachsende Interesse an solchen Ansätzen in der Weiterbildung – und in anderen Bildungsbereichen – lässt sich als andragogische Antwort auf den gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung verstehen.

Potenziale und Risiken

Die erwähnte Tagung zeigte, dass Individualisierung in der Weiterbildung oft in engem Zusammenhang mit der Digitalisierung steht. Dabei geht es auch, aber nicht nur um das Digitalisieren von Lernangeboten. Wie Falk Scheidig an der Tagung veranschaulichte, bergen insbesondere Learning Analytics zahlreiche, in der Weiterbildung noch kaum genutzte Möglichkeiten, Lernangebote zu personalisieren. Diese weisen allerdings ebenfalls erhebliche Risiken und Beschränkungen auf – ein Umstand, mit dem sich Weiterbildungsakteure auseinandersetzen sollten, ob sie diese Technologien nun nutzen oder nicht.

Zu einem weiteren kritischen Fazit bezüglich des Potenzials von Individualisierungsprozessen gelangte Kenneth Horvath in seiner Analyse der weit verbreiteten Annahme, Individualisierung führe automatisch zu mehr Gerechtigkeit in der Bildung. Auch im dritten Tagungsreferat kamen neben den Chancen die problematischen Seiten der Individualisierung zur Sprache: Helmut Bremer ging der Frage nach, warum Selbstlernen – ein zentrales Element der Individualisierung – oft nicht gelingt.

Ob Individualisierung sich als Königsweg der Bildung erweisen wird, konnte die Tagung nicht beantworten. Klar ist aber, dass das Thema Individualisierung viele Weiterbildungsanbieter intensiv beschäftigt. Der SVEB wird die Entwicklung weiterhin verfolgen.

Die EP zur Individualisierung erscheint Ende Mai 2023:

Der Think Tank TRANSIT befasst sich vertieft mit Flexibilisierungstendenzen; ein Trendbericht dazu erscheint Ende April 2023:

SVEB-Beitrag vom 1.12.22:

Die nächste Tagung aus der Reihe «Weiterbildung in Forschung und Praxis» findet am 25. Januar 2024 statt: