Über die Poesie zu Sprachkompetenzen – geht das? Rückblick auf den POETA-Workshop


Grundkompetenzen und Poesie scheinen auf Anhieb nicht recht zusammenzupassen. Kann ein poesiepädagogischer Ansatz trotzdem funktionieren? Das wollten wir beim POETA-Workshop herausfinden.

Bericht: Reto Hunziker

Du hast «sterben», ich hab «gestorben». Das gehört doch zusammen. Und hier, dein «letztes Jahr» passt zu meinem «dieses Jahr».

Es sind die ersten Minuten des POETA-Workshops zur Poesiepädagogik beim Vermitteln von Grundkompetenzen und wir beschäftigen uns bereits sehr intensiv mit Gedichten. Alle Teilnehmenden haben Schnipsel bekommen, auf denen Teile eines Gedichts stehen – und stehen nun vor der Aufgabe, zu eruieren, welche Schnipsel zusammengehören und in welcher Reihenfolge sie ein Gedicht bilden.

Wir Puzzleteile finden uns schnell und diskutieren, was unser Resultat «letztes Jahr bin ich | gestorben dieses Jahr | sterbe ich nicht» bedeuten könnte. «Was dich nicht umbringt, macht dich stärker», kommt uns in den Sinn, «was dich umbringt, aber auch», könnte man angesichts unserer Lösung ergänzen. Der Tod gehört zum Leben, ebenso die Zuversicht und sterben wir nicht sowieso im Leben tausend Tode?

«Magischer Gebrauchsgegenstand»

Was wir von diesem Workshop erwarten, diskutieren wir in der Folge und ich sage, dass ich herausfinden will, ob Poesiepädagogik nicht viel zu abgehoben ist, um sie im Bereich der Grundkompetenzen einzusetzen. Immerhin denke ich bei Poesie an Lyrik und mir scheint, man müsse dafür die Sprache schon sehr gut beherrschen.

Beim Zusammenstellen und Präsentieren der Schnipsel finden wir heraus: Richtig und Falsch gibt es hier nicht (auch wenn man sich etwas konzentrieren muss, um dies zu akzeptieren). Und: Fehler sind kreativ. Egal, wie die Teile zusammengefügt werden, das Resultat ist Poesie und der Prozess schöpferisch. Oder wie Kajo Wintzen, einer der drei Kursleitenden sagt: «Die Poesie ist ein magischer Gebrauchsgegenstand.»

Im weiteren Verlauf des Workshops merke ich, dass die Erwartung an Poesie gar nicht so hoch sein muss. Es geht primär darum, mit Worten etwas Sinnliches zu erleben sowie am Sprachgebrauch Freude zu haben. Wer mit der Sprache spielt, ist bereits poetisch. Die Ziele der Poesiepädagogik sind denn auch: Teilhabe an schönen Künsten, Selbstentfaltung und Selbstermächtigung, wie Kursleiterin Selina Tschida erörtert.

Es geht weder um Wahrheit noch um Nützlichkeit

In der zweiten Phase des Tages gelangen wir über unterschiedliche Medien zur Poesie, z.B. über ein Video, Zitate oder Bilder aus Zeitschriften. Wir zerschneiden Zeitungen und Magazine, kommen über einzelne Begriffe zu Assoziationen und Wortspielereien.  «Poesie ist nicht nützlich», schnappe ich auf – aber muss denn alles immer nützlich sein? «Wir wollen so wenig Wahrheit wie möglich produzieren», sagt Kursleiterin Rubia Salgado.

Sie arbeitet mit Frauen, die zum Teil Schlimmes erlebt haben und es über die Poesie schaffen, Erlebtes auszudrücken und zu verarbeiten. In der Arbeit mit den Teilnehmenden muss dabei der Begriff Poesie gar nicht fallen. Viel wichtiger ist eine «poetische Haltung», die vieles zulässt, den Gedanken Raum gibt und fördert, was dabei entsteht. Zum Beispiel über Metaphern.

Ein Zugang zur Sprache

Im Prinzip geht es darum, einen Zugang zur Sprache zu finden, sich ihrer bewusst zu sein und über die reine Informationssprache hinauszugehen, lerne ich. Dies kann, wie im Workshop bewiesen, über ein Gugelhupf-Rezept geschehen. Denn Poesie steckt auch im Alltag.

Und so stimme auch ich am Ende des Workshops der Aussage «alle können Poesie» zu. Ich habe mich auf spannende und kreative Weise mit der Sprache befasst. Sprachfreunden wie mir fällt das sicher leichter. Aber mit genug Raum, Zeit und Inspiration können alle einen Weg zur Sprache finden.

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