Ausgelöst durch die Corona-Pandemie, befindet sich der Weiterbildungsmarkt in einem beschleunigten Umbruch. Neben konventionellen Kursen erwarten Lernende zunehmend digitale, flexible, ortsunabhängige, individualisierte und kostengünstige Lernangebote. Die Anbieter reagieren auf die veränderten Bedürfnisse mit einem deutlich digitaleren Angebot. Die Anpassung ist für die Anbieter aber mit grossen Herausforderungen verbunden.
Der Präsenzunterricht verliert an Bedeutung. Bereits vor der Corona-Pandemie war dies in der Weiterbildungslandschaft eine Binsenwahrheit. Insbesondere die Digitalisierung führt dazu, dass sich die Bedürfnisse der Lernenden verändern und heterogener werden. Es war in der Branche allerdings ein sogenannter «Talking-Action-Gap» zu beobachten: Alle redeten über das Potenzial und die Macht der Digitalisierung. Aber nur wenige Anbieter adaptierten ihre Strategie und unternahmen konsequente Schritte zur Weiterentwicklung des auf Präsenzunterricht ausgerichteten Angebotsportfolios. Der Druck zur Anpassung war klein.
Corona wirkt auch in der Weiterbildungsbranche als Katalysator
Die Corona-Pandemie hat diese Situation auf einen Schlag verändert. Ausgelöst vor allem durch die Phasen des Präsenzverbots im Jahr 2020, hat die Krise innerhalb weniger Monate eine massive Umwälzung der Angebotsstruktur bewirkt. Gemäss einer aktuellen Anbieterumfrage des SVEB werden Ende 2021 nur noch rund ein Drittel der Anbieter ihren Fokus auf Präsenzunterricht setzen. Zum Vergleich: Ende 2019 waren es noch über 90 Prozent. Das «neue Normal» in der Weiterbildung werden sogenannte Blended Settings sein, also die Verbindung von Online- und Präsenzunterricht. Möglicherweise wird auch die Nachfrage nach hybriden Settings steigen, nach Formaten also, bei denen die Teilnehmenden selbst wählen können, an welchen Kursteilen sie in Präsenz und an welchen sie online teilnehmen. Die rasche Umwälzung in der Branche ist für die Anbieter mit mehreren Herausforderungen verbunden.
Herausfordernd ist für die Weiterbildungsanbieter zunächst, dass die Anpassungen kostenintensiv sind: Die Verbindung von Präsenz- und Onlineformaten verlangt Investitionen in die methodisch-didaktischen Konzepte, in die Weiterbildung der Ausbildenden, in die technologische Infrastruktur und nicht zuletzt auch in die internen Prozesse und die Kommunikation mit der Kundschaft. Für zahlreiche Weiterbildungsanbieter dürfte es gegenwärtig aber sehr schwierig sein, diese Investitionen zu tätigen. Die Umfrage des SVEB zeigt, dass sich auf Grund der Pandemie fast ein Viertel der Anbieter aktuell in einer prekären wirtschaftlichen Situation befindet. Der Umsatz der Branche ist im ersten Pandemiejahr um über 20 Prozent eingebrochen. Wie die Anbieterumfrage des SVEB zeigt, kehrt die Weiterbildungsnachfrage im Jahr 2021 zwar zurück, die Erholung dürfte aber eher langsam erfolgen.
Eine zweite Herausforderung ist die Sicherstellung der Qualität. Die Umstellung auf digitale Angebote erfolgte 2020 bei vielen Anbietern als eine Art Notfallübung. Die meisten Angebote wurden ohne die notwendigen konzeptionellen Anpassungen in den digitalen Raum verlagert. Mittelfristig werden die Anforderungen an die Qualität der digitalen Angebote aber deutlich steigen. Die Teilnehmenden werden an digitale Angebote die gleichen Anforderungen stellen wie an die gewohnten Präsenzformate. Anders als in der Pandemie geht es künftig nicht mehr darum, Präsenzangebote möglichst rasch zu digitalisieren. Im Zentrum steht jetzt die Herausforderung, Präsenz- und Onlinelernen so zu kombinieren, dass die Vorteile beider Lernformen zum Tragen kommen. Dafür braucht es innovative Konzepte, die sowohl auf didaktischer Ebene als auch in der Qualitätssicherung noch höhere Anforderungen stellen als reine Online-Angebote. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist eine fundierte fachliche Auseinandersetzung mit den neuen Formaten notwendig.
Eine dritte Herausforderung ist schliesslich der deutlich verstärkte Wettbewerb in der Branche. Die erhöhte Bereitschaft der Teilnehmenden, online zu lernen, hat die Eintrittsschwellen für neue Anbieter deutlich reduziert. Zu ihnen gehören verstärkt auch internationale Akteure wie beispielsweise LinkedIn Learning, das im Monatsabo tausende Selbstlernangebote zur Verfügung stellt. Festzustellen ist im Markt zudem ein verstärkter Preisdruck. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft für digitale Formate eher tiefer ist als für physische Kurse. Gleichzeitig steigen aber für die Anbieter zumindest mittelfristig die Kosten.
Eine neue Dimension von Flexibilität
Eine der grossen Stärken des Weiterbildungsmarktes ist dessen Flexibilität. Doch während sich diese bisher vor allem auf neue inhaltliche Trends bezog, ist mit der Corona-Krise eine neue Dimension von Anpassungsfähigkeit dazugekommen. Neu müssen sich die Anbieter nicht mehr nur die Frage stellen, was die Teilnehmenden lernen möchten, sondern auch, in welchem Format. So viel Flexibilität in der Angebotsgestaltung kann nur mit einer agilen Organisation gemeistert werden, die dynamisch aufgestellt ist und in der neue Herausforderungen als Lernchancen gesehen werden.
Von: Bernhard Grämiger, Direktor SVEB
Zuerst erschienen in: «Handelszeitung» Nr. 34 (19.8.21)
Bild: Weiterbildungslandschaft