«Die Integrationsförderung kann momentan ihren Auftrag in Bezug auf die Sprachförderung nicht vollumfänglich erfüllen»


In der Integrationsförderung herrscht Fachkräftemangel: Es fehlen Kursleitende für den Deutschunterricht. Eine Projektgruppe bestehend aus Hochschulen, Weiterbildungsanbietern und dem SVEB will dem entgegenwirken. In einem Interview gibt SVEB-Direktor Bernhard Grämiger Auskunft über die Hintergründe.

Interview: Marianne Rupp

Warum gibt es zu wenig Sprachkursleitende im Integrationsbereich?
Die beiden Hauptgründe liegen im Ukrainekrieg und der Corona-Pandemie. Aufgrund des Krieges sind zahlreiche Menschen in die Schweiz gekommen, die Deutsch lernen wollen. Gleichzeitig haben viele ältere Kursleitende während der Pandemie das Metier verlassen und sich nicht mehr zurückgekehrt.

Was sind die Konsequenzen dieses Fachkräftemangels?
Wegen des Fachkräftemangels können nicht alle Migrantinnen und Migranten, die Deutsch lernen möchten, an einem Sprachkurs teilnehmen. In mehreren Kantonen gibt es derzeit Wartelisten. Die Integrationsförderung kann momentan ihren Auftrag in Bezug auf die Sprachförderung nicht vollumfänglich erfüllen. Das ist auch ein sozialpolitisches Problem. Eine Projektgruppe, bestehen aus Weiterbildungsanbietern, Hochschulen und dem SVEB, will nun diesem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Was beinhaltet die Arbeit als Kursleitende?
Primär geht es um die Sprachvermittlung, die Vorbereitung und Umsetzung der Lernveranstaltungen. Dabei spiel der soziale Aspekt eine zentrale Rolle, da der Austausch zwischen den Teilnehmenden und der Kursleitung den Lernprozess fördert und die Integration in die Schweiz unterstützt.

Wie helfen Sprachkursleitende bei der Integration?
Der Sprachunterricht orientiert sich am Alltag und ist handlungs- und bedürfnisbezogen. Migrantinnen und Migranten lernen, wie sie sich in konkreten Situationen ausdrücken können, etwa bei der Arbeitssuche, in Elterngesprächen oder beim Arztbesuch. Durch die Sprache wird ihnen unsere Kultur nähergebracht. Dies unterstützt die Teilnehmenden dabei, sich in der Schweizer Gesellschaft zurechtzufinden. Es findet zudem eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kulturen innerhalb der Gruppe statt, was sehr bereichernd ist.

Wer kann Kursleiterin, Kursleiter werden?
Sehr gute Deutschkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung. Wer eine langfristige Tätigkeit anstrebt, braucht zudem eine didaktische Ausbildung im Bereich Deutsch als Fremdsprache sowie eine Qualifikation in der Erwachsenenbildung, beispielsweise das SVEB-Zertifikat Ausbilder/Ausbilder. Diese Weiterbildungen können berufsbegleitend absolviert werden. Ein Start in die Tätigkeit als Kursleitender ist in der Regel auch ohne didaktische Ausbildung möglich.

Woher kommen die Kursleitenden?
Eine wichtige Zielgruppe besteht aus Personen, die bereits in der Erwachsenenbildung qualifiziert, aber noch nicht im Sprachbereich tätig sind. Mit unserem Projekt möchten wir auch Menschen ansprechen, die bereits Unterrichtserfahrung haben, wie Primar- oder Sekundarlehrpersonen. Allerdings unterscheidet sich der Unterricht für Erwachsene von dem für Kinder oder Jugendliche, da er von Lehrpersonen andere Kompetenzen fordert. Auch hier gibt es spezifische Weiterbildungsangebote. Eine dritte wichtige Gruppe sind die Neu- und Quereinsteigenden. In letzter Zeit nutzen zum Beispiel vermehrt Personen aus dem kaufmännischen Bereich die Möglichkeit, als Kursleitende einzusteigen. Die meisten Sprachkursanbieter bieten Schnupperstunden oder Praktika an, um Interessierten Einblick in die Tätigkeiten zu geben.

Was macht dieses Berufsbild attraktiv?
Es ist eine sinnstiftende Arbeit, andere Menschen in einer schwierigen Lebensphase zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ihren Weg zu gehen. Kursleitende erfahren viel Wertschätzung von den Teilnehmenden. Zudem erweitert die Arbeit den eigenen Horizont, da sich Kursleitende nicht nur fachlich, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene weiterentwickeln. Ausserdem bietet diese Arbeit grosse Flexibilität, sowohl was die Arbeitszeit als auch das Pensum betrifft. Teilzeitarbeit auf Mandatsbasis ist ebenso möglich wie eine Festanstellung im Vollzeitpensum. Dank den vielfältigen Möglichkeiten stösst der Beruf inzwischen auch bei Männern auf wachsendes Interesse. Heute sind Männer als Kursleiter gut vertreten, wenn auch noch in der Minderheit.

Welches sind die grössten Herausforderungen?
Die Heterogenität der Kursteilnehmenden bezüglich Alter, Herkunft und Lerntempo. Es gibt Kurse, da sitzen 25-Jährige mit 75-Järhgen zusammen. Ukrainerinnen neben Russen. In einem solchen Umfeld ein Gruppengefühl zu schaffen und gleichzeitig auf individuelle Lernziele und -bedürfnisse einzugehen, kann äusserst anspruchsvoll sein.

Wer eignet sich für diesen Beruf?
Menschen, die Freue und Interesse an anderen Menschen haben, empathiefähig sind und interkulturelle Sensibilität mitbringen. Wichtig ist auch Geduld, denn die Lernfortschritte der Teilnehmenden sind manchmal klein.

Was hat sich verändert im Beruf des Kursleitenden in den letzten Jahren?
Die Digitalisierung ist wohl die grösste Veränderung. Kursleitende müssen sich mit den Informations- und Kommunikationstechnologien auskennen und diese im Unterricht einsetzen. Zudem ist die bereits erwähnte Alltags- und Handlungsorientierung in letzter Zeit fester Bestandteil des Unterrichts geworden. Das stellt höhere Anforderungen an die Kursleitenden in Bezug auf Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts.

Dieses Interview erschien in der Beilage Alpha des Tages-Anzeigers am 5. Oktober 2024.

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